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Rons Welt

Marianne Thiele

 

Frieling

2000

Softcover, A5, 98 S.

 

ISBN 3-8280-1207-8

 

2,00 €

 

 

 


Hilflos stehen die Bewohner der Stadt Terra im Jahe 2149 dem Problem der Umweltverschmutzung gegenüber. Wie sollen sie der Erde eine lebenswerte Zukunft sichern? Auf der Suche nach einer Lösung greift Professor Layhausen zueinem gefährlichen, verbotenen Mittel. Er tritt eine Zeitreise an, um aus den Fehlern der Vorfahren zu lernen.

Seinem Sohn Ron hinterlässt er ein Tagebuch. Ein Jahr nach dem Verschwinden des Professors spitzt sich die Lage in Terra zu. Nun lässt sich auch Ron auf die abenteuerliche Zeitreise ein, um seinen Vater zu retten. In der Statdt der Vergangenheit begegnen ihm Felicitas und ihre Clique, und er entdeckt tatsächlich Spuren seines Vaters. Wird Ron seine Mission erfüllen und den Vater retten? Lest selbst in "Rons Welt"!

Kapitel 1

Aus Professor Layhausens Tagebuch

Terra. 28. September, 2149. 23.30 Uhr Ortszeit.

...Heute ist es mir endlich gelungen, die letzten Kalkulationen für einen Zeitsprung durchzuführen. Ich habe mich mit meinen Forschungsergebnissen noch nicht an den Weisen Rat und die Bürger Terras gewandt, denn ich muß mit heftigem Widerstand gegen mein Projekt rechnen. Vielen wird es ganz unwahrscheinlich vorkommen, daß Kommunikation nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit möglich ist; und zwar nicht nur zur gleichen Tageszeit oder durch das Abspielen von Computeraufzeichnungen, sondern durch den Transfer von fester Materie in verschiedene Raum- und Zeitebenen ... Ich bin fest entschlossen, mein Zeitreisegerät schnellstmöglichst fertig zu bauen, denn Tatsachen überzeugen bekanntlich auch den größten Zweifler. Der Nutzen dieses Zeittransformators ist in meinen Augen offensichtlich, denn in unserer Kunstwelt unter Glas sind wir von der Alten Erde gänzlich abgeschottet. Die Menschen sind nur noch an ihrer Stadt und nicht mehr an den Entwicklungen auf der Erde interessiert. Die schrecklichen Ereignisse zum Ende des vergangenen Jahrhunderts haben dauerhafte Spuren im Bewusstsein der Terraner hinterlassen. Vor Kriegen und Umweltkatastrophen haben sie sich in diese Glas-Oase gerettet, die sie nun für die einzig mögliche Form halten, gewaltfrei zu leben... Sie sind nur noch an ihrem privaten Glück interessiert. Selbst Expeditionen zu Forschungszwecken werden aus Desinteresse kaum noch durchgeführt. Unser Geschichtswissen geht zunehmend verloren. Wir wissen nicht einmal, ob es noch weitere Städte wie unsere gibt, oder ob wir die letzten Überlebenden unserer Rasse sind ... Unsere Bürger wünschen keinen Kontakt nach außerhalb mehr. Sie kommunizieren nur untereinander... Doch Abkapselung wird mit Sicherheit bald zur Mangelwirtschaft führen. Ich bin überzeugt, dass die derzeitige Politik der Isolation und Selbstzufriedenheit für die Weiterexistenz Terras in der Tat gefährlich ist.

Terra. 29. September, 2149. 16.00 Uhr Ortszeit.

Es war heute ungemein problematisch, hochreine Speicherkristalle zum Bau meines Transformators zu erhalten – obwohl ich als leitender Professor des Weisen Rates meine Beziehungen nutzen konnte. Doch unser Tagebau ist schon fast ein Untertagebau, die besten Vorkommen sind bereits erschöpft. Der Bauleiter überließ mir aus Gefälligkeit einige wertvolle Stücke...Noch genügen sie den technischen Anforderungen. Die kleinste Verunreinigung in den Kristallspeichern würde die Zeitreise zu einem unkalkulierbaren Risiko machen, denn eine Berechnung von Zielort und Zielzeit wäre dann nur mit großen Ungenauigkeiten durchführbar. Doch ein Erfolg meiner temporären Expedition ist von ungeheurer Wichtigkeit, denn dann kann ich als Zeitreisender historische Erfahrungen aus unserer eigenen Geschichte aufarbeiten. Sie könnten uns vielleicht helfen, einen Weg aus unserer selbstgewählten Isolation zu finden. Wir haben ja die Möglichkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Auf einer höheren Ebene der Zeitspirale wiederholen wir die Irrtümer unserer Vorfahren dann nicht mehr. Morgen werde ich dem Weisen Rat sowohl die philosophischen Grundlagen meines Projektes als auch den Zeittransformator vorstellen. Ich bin sicher, der Rat wird die Durchführung des Zeitsprungs nach reiflicher Erwägung genehmigen! Wenn das Projekt erfolgreich getestet worden ist, können wir es der breiten Öffentlichkeit zur Diskussion vorlegen.

Terra. 30. September, 2149. 15.00 Uhr Ortszeit.

Den größten Teil des Tages habe ich verwendet, um meine Unterlagen zu ordnen. Ich möchte morgen meine Kollegen Grant und Feldmann davon überzeugen, daß wir das Zeitexperiment schon in drei Tagen durchführen. Nach meiner Auffassung verläuft Zeit spiralförmig in einer unendlichen Dimension. Das möchte ich ausnutzen! In regelmäßigen Abständen liegen auf den Außenseiten der Spirale Kontaktfenster. Entsprechend meinen Berechnungen wäre am 3. Oktober ein Zeitsprung in unsere Vergangenheit möglich. Dazu müßte ich den Zeitfluß in entgegengesetzter Richtung mit Hilfe meines Zeittransformators durchqueren. Ich würde noch vor der Jahrhundertwende am gleichen Ort, wo heute Terra steht, rematerialisieren. Dazu werde ich Molekularverstärker einsetzen. Vielleicht stand hier schon früher eine Stadt, und ich bekomme Kontakt zu ihrem Rat? Alles ist möglich! Ich darf nur nicht das nächste Zeitfenster für die Rückkehr verpassen. Natürlich muß ich den Transformator dazu unauffällig benutzen, so daß die Menschen jener Epoche von meiner Mission und unserer Technik nichts bemerken. Die Entdeckung meines Zeitreisegerätes durch sie wäre in jeder Hinsicht fatal!!

Terra. 30. September, 2149. 21.45 Uhr Ortszeit.

Heute Abend ist noch etwas Unglaubliches passiert. Ein 17jähriger Student hat seine Freundin furchtbar geschlagen. Er sagt trotzig, er hat es aus Frust getan. Wir haben für diesen Vorfall keine Erklärung und auch kein Strafmaß. Aggressivität ist für unsere Stadt ein neues Phänomen. Um ähnlichen Dingen in Zukunft vorzubeugen, hat die Große Ratsversammlung mit einer Gegenstimme beschlossen, den Jungen aus Terra auszuweisen. Polizisten haben ihn gegen 20.00 Uhr durch die Bioschleuse gewaltsam nach draußen eskortiert. Er hat sich gewehrt und sogar geweint, aber es nützte ihm nichts. Sie haben ihn zur Isolation verurteilt. Das neue Gesetz besagt, dass er nach einem Monat wieder um Aufnahme in Terra ersuchen darf – wenn er bis dahin noch lebt. Ich finde die Strafe furchtbar, und ich habe in der Ratsversammlung dagegen gestimmt! Doch vergeblich.

Ich glaube, dass dies erst der erste Vorfall einer Reihe von spontanen Zuwiderhandlungen gegen unsere Regeln sein wird. Der Grund dafür ist meiner Meinung nach unsere Isolation. Die anderen Mitglieder des Weisen Rates dagegen sagen, das sei doch gerade unser Vorteil. Wir könnten uns mit Leichtigkeit von allem trennen, was aggressiv sei. Das wichtigste Ziel unserer kleinen Gemeinschaft sei es, gewaltfrei zu überleben. Das Motto müsse sein: Gewaltfreiheit durch Gehorsam und Disziplin! Aber reicht das als Lebensziel für unsere Jugend, die die großen Umweltverbrechen und Kriege nicht mehr selbst miterlebt hat? Ron ist jetzt 15. Wird er vielleicht gewalttätig, wenn er älter ist? Ich muss unbedingt mein Zeitexperiment erfolgreich durchführen. Die Vergangenheit ist der Schlüssel zu allen Fragen, die wir heute nicht lösen können. Unser Leben muss wieder einen Sinn bekommen, oder wir treten auf der Stelle.

Terra. 1. Oktober, 2149. 13.15 Uhr Ortszeit.

Ich habe es nicht für möglich gehalten – aber meine Ratskollegen Grant und Feldmann haben meine Pläne als unnütz und gefährlich abgelehnt. Sie befürchten negative Einflüsse unserer gewalttätigen Vergangenheit auf unsere Jugend. Ich soll deshalb alle Zeitexperimente abbrechen und morgen alle Unterlagen und Daten im Institut vor Zeugen vernichten. Die Computeraufzeichnungen in meinem Büro werde ich auch wie verlangt löschen. Aber nicht den Zeittransformator! Ich hatte ihn heute Morgen auf meinem Schreibtisch versehentlich vergessen! Von seiner Existenz und von diesem Tagebuch ahnen Grant und Feldmann also nichts. Alles, was ich über den Zeitsprung in Erfahrung gebracht habe, steht vollständig in meinen handschriftlichen Aufzeichnungen. Ich werde sie meinem Sohn Ron jetzt übergeben. Er wird meine Idee bewahren, falls ich von meiner Zeitreise am 3. Oktober nicht zurückkehren sollte. Ich trete sie auf jeden Fall an. Ron wird verstehen, warum ich das Risiko allein auf mich nehmen muss. Mein Tagebuch wird nun geschlossen.

Professor Lars Layhausen

 


 

Last Updated (Thursday, 24 February 2022 14:50)